Die nächtliche Traumwelt – kreativ und vielfältig
Das Gehirn und auch das Erleben stehen nie still, auch im Schlaf nicht. Genauso, wie wir tagsüber denken, fühlen und empfinden, geht es im Schlaf weiter, das nennen wir Träumen. Der große Unterschied ist, dass es während des Träumens keinen Input von außen gibt. Die Forschung im Schlaflabor hat gezeigt, dass jeder Mensch jede Nacht träumt, das heißt Träumen ist eine ganz normale Funktion des gesunden Gehirns. Was allerdings von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich ist, ist die Fähigkeit, sich nach dem Aufwachen an das zu erinnern, was man vor dem Aufwachen erlebt hat. Manche haben fast jeden Morgen einen Traum behalten, andere geben an, dass sie niemals träumen, genau genommen stimmt das nicht, sie erinnern sich nur nicht (das Träumen ist ja immer da).
In den Träumen können alltägliche Dinge vorkommen, aber auch solche, die im Wachleben nicht existieren, zum Beispiel ohne Hilfsmittel durch die Lüfte fliegen. Auch wenn Themen, die uns tagsüber beschäftigen, im Traum vorkommen, so träumen Sportstudierende häufig von Sport, Musikerinnen und Musiker von Musik usw., ist es so, dass der Traum die einzelnen Elemente kreativ zusammensetzt, eine neue Geschichte daraus macht. Wie ein guter Film wollen die Träume spannend sein. Gerade bei Ängsten neigen sie dazu, ganz kleine Wachängste riesengroß darzustellen, ein Streit mit einer Freundin oder einem Freund kann zu einem regelrechten Kampf im Traum führen. Das bedeutet, ein ganz normales Wutgefühl kann im Traum sehr anschaulich und plastisch dargestellt werden. Oder eine unliebsame Aufgabe, die man gerne vermeiden möchte, weil sie mit ein bisschen Angst verbunden ist, kann zu einem Monstertraum führen, in dem man panisch davonläuft.

apl. Prof. Dr. phil. Michael Schredl
Wissenschaftlicher Leiter des Schlaflabors am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim
Die spannende Frage, die die Wissenschaft schon lange beschäftigt, ist: „Warum träumen wir?“ Viele haben die Annahme, dass wir im Traum etwas verarbeiten oder verbessert ins Gedächtnis speichern. Auch wenn das plausibel ist, stellt sich die Frage, warum viele Menschen auch total abgefahrene Sachen träumen, zum Beispiel ist noch kein Mensch im Wachleben ohne Hilfsmittel geflogen, also, warum träumt man so etwas? Andere Forschende stellen sich vor, dass man im Traum übt, zum Beispiel wie man mit Angst umgeht. Man kann aus Verfolgungsträumen die einfache Lehre ziehen, dass Weglaufen keine gute Strategie ist, weil die Angst dadurch immer größer wird. Auf der anderen Seite kann man sich auch vorstellen, dass Träumen gar keine Funktion hat und die Natur sich einfach nicht die Mühe gemacht, das nächtliche Träumen abzustellen. Tagsüber ist das Nachdenken, Sprechen, Austauschen mit anderen Menschen überlebenswichtig gewesen bzw. ist es immer noch, doch was da nachts im Bewusstsein abläuft, ist nicht direkt für den Überlebenskampf relevant. Eine junge Teilnehmerin in einer Studie einer Schweizer Kollegin sagte: „Wir träumen, damit uns nachts nicht langweilig ist.“
apl. Prof. Dr. phil. Michael Schredl
Wissenschaftlicher Leiter des Schlaflabors am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim