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Freiheit – eine gute Idee!

Auch wenn wir oft gedankenlos handeln, so steuert doch im Prinzip unser Denken unser Verhalten. Wir laufen nicht als unbewusste Traumtänzer oder Zombies durch die Welt. Vielmehr denken wir darüber nach, was wir tun.

So einfach dies zunächst sein mag, so heftig scheint dies heute durch die moderne Gehirnforschung infrage gestellt zu werden. Schon bevor eine Versuchsperson sich entschließt, etwas Bestimmtes zu tun, also beispielsweise den Finger nach links oder rechts zu bewegen, findet sich ein Signal im Gehirn dieser Person, das diese Bewegung kodiert. Waren es früher noch 300 Millisekunden davor, so konnten kürzlich deutsche Wissenschaftler diesen Wert auf sieben Sekunden steigern. „Unser Gehirn hat sich also schon entschieden, wenn ich glaube, mich zu entscheiden. Also ist die Freiheit des Willens eine Illusion“ – so oder so ähnlich argumentieren nicht wenige Gehirnforscher. Haben sie recht? Und was folgt daraus?

Erst einmal kann man auch ohne Gehirnscanner das Verhalten der Menschen meistens voraussagen. Wenn Sie es nicht glauben, dann gehen Sie bitte einmal hungrig vor dem Essen und ein anderes Mal satt nach dem Essen in den Supermarkt zum Einkaufen. Sie werden den Unterschied im Einkaufswagen und Ihrem Geldbeutel deutlich merken. Haben Sie also unfrei gehandelt? Ich glaube nicht! Sie hätten sich auch anders verhalten können, hätten beispielsweise das eine oder andere trotz großer Sättigung kaufen oder trotz großen Hungers nicht kaufen können. Ihr Körper (mitsamt seinem Hunger oder seinem Gefühl der Sattheit) hat jedoch bestimmte Ideen in Ihrem Geist aktiviert, und genau solche Ideen steuern unser Verhalten. Weil ich weiß, dass mir Bewegung guttut, gehe ich joggen. Weil ich meine Familie ernähren will, gehe ich arbeiten. Weil ich gerne schwimmen gehe, fahre ich mit dem Rad zum Badesee. Immer wieder das Gleiche: Ideen steuern Verhalten.

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer
Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III, Universität Ulm

Unter den vielen unser Verhalten beeinflussenden allgemeinen Ideen (wie beispielsweise „Gesundheit“ oder „Geld“) gibt es eine ganz besondere, die allen ideengesteuerten Verhaltensweisen zugrunde liegt: Die Idee der Freiheit. Wäre ich nicht frei, könnte ich auch nicht joggen gehen wollen. Eine repräsentative Umfrage in 36 Ländern bestätigt dies: 70 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass ihr Schicksal in ihren eigenen Händen liegt. Sitzen sie alle einem veralteten Weltbild auf?

Nein! Denn die Idee, dass alles in meinem Kopf wie ein Uhrwerk abläuft, lässt sich wissenschaftlich nicht beweisen. Ein Stein rollt den Berg hinab, vielleicht wie ein Uhrwerk, er hat keine „Wahl“. Ein Blutegel kann sich unter bestimmten Voraussetzungen schon durchaus zwischen Schwimmen und Krabbeln entscheiden und ein Affe kann alles Mögliche tun. Ein Mensch allemal. Wenn es also ein Organ gibt, das für Freiheit geradezu zuständig ist, dann ist es das menschliche Gehirn. Wo sollte die Freiheit sonst ihren Sitz haben? In der Leber oder selbst im Herzen sitzt sie gewiss nicht! Menschliche Gehirne produzieren nicht nur Muster neuronaler Aktivierung, sondern auch Erleben und Erkenntnis, Geschichten und Bedeutungen, Pläne und Hoffnungen, Selbstbewusstsein und Nächstenliebe. Und Freiheit. Um diese kämpfen Menschen sogar bis hin zum Opfer des eigenen Lebens. Wer behauptet, Menschen seien prinzipiell nicht frei, der sagt damit nicht nur etwas Unbewiesenes, sondern sogar etwas Unbeweisbares und er behauptet etwas, das die meisten Menschen nicht so erleben.

Es gibt sogar einen guten Grund, sich als frei zu denken: Nur wer sich Freiheit nimmt, ist auch frei und verhält sich entsprechend: Er tut „freiwillig“ Gutes. Diese Überlegung geht auf Immanuel Kant zurück, der Freiheit eine „regulative Idee“ nennt. Sie reguliert mein Verhalten etwa so wie die Idee „Gesundheit“. Wer behauptet, der Mensch sei nicht frei oder gar die Marionette seines Gehirns, dem hätte schon Kant da-rauf geantwortet, dass ich den freien Willen annehmen muss, um überhaupt mein Leben selbstbestimmt zu leben – ganz gleich, ob ich Wissenschaftler bin oder nicht. Wie eingangs erwähnt, gehen die meisten Menschen davon aus, sich frei zu entscheiden. Das sollten sie auch weiterhin tun. Denn Freiheit ist – im besten Sinne des Wortes und ganz allgemein – eine gute Idee!

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer
Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psycho-therapie III, Universität Ulm