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Schreiben und Denken

Wenn wir uns über das Schreiben Gedanken machen, dann stehen meist technische Veränderungen in der Jetztzeit im Vordergrund: Hat die Schreibmaschine die Literatur beeinflusst? Hat der Umstieg von Kreide und Tafel auf Schreibheft und Bleistift dem Erlernen der Schrift geschadet? Sollte man mit dem Füllfederhalter oder mit dem Computer schreiben? Zu diesen und noch anderen Fragen findet man klare Antworten. (Sie lauten: „Ja“, „Nein“, „Füllfederhalter“.) Das Schreiben selbst, also die Materialisierung von Denken, gerät dabei jedoch aus dem Blick. Denn das, was beim Schreiben passiert, ist zwar immer durch das Medium bestimmt, dessen man sich beim Schreiben bedient – seien es Tafeln aus Wachs oder weichem Ton, Stein, Pergament, Papyrus, Papier oder berührungssensitive Oberflächen leuchtender Kristalle (Touchscreens). Aber der dem Schreiben zugrundeliegende Denkprozess, das Versprachlichen von Denken, ist immer der gleiche. Wenn wir denken, entgeht uns oft, was wir eigentlich gerade machen: Wir stellen uns etwas vor, „imaginieren“ ein Bild oder eine Melodie, verändern das Imaginierte etc. Kurz: Geistige Tätigkeit ist viel mehr als „nur“ inneres Sprechen. Und genau dies zeigt uns das Aufschreiben unserer Gedanken. Es ist zuweilen sehr schwer, eine Intuition in Worte zu fassen, und der Musiker oder Künstler versucht es erst gar nicht, sondern komponiert oder malt. In den performativen Künsten und im Sport ist es nicht anders: Reden stört dort eher oder ist sehr wenig informativ, wovon man sich leicht überzeugen kann, wenn man Interviews von Sportlern über ihre großartige Leistung betrachtet.

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer
Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III, Universität Ulm

Viele professionelle Schreiber, Literaten, sagen, dass sie mit dem Stift denken. Sie meinen das nicht wörtlich, aber möchten damit ausdrücken, dass der Prozess des Schreibens ein ganz besonderer ist: Erst durch das Aufschreiben werden die eigenen Gedanken klar. Das merkt jeder, der beispielsweise eine Gebrauchsanweisung schreiben soll, aber noch nicht wirklich verstanden hat, wie das „Ding“ (was auch immer es ist) funktioniert. Gleichermaßen gilt: Eine Geschichte, ein Argument oder eine ganze Argumentationskette wird beim Erzählen und vor allem beim Aufschreiben erst so richtig klar.

Seine Gedanken in Schrift zu verwandeln ist also mehr, als sie nur einfach materiell abzubilden. Es ist vielmehr eine eigenständige geistige Leistung, die deswegen nötig ist, weil Denken zwar zuweilen sprachlich erfolgt, oft aber auch nicht. Gerade das kreative Denken ist oft ein Vorstellen, und das ist nicht-sprachlich. „99 Prozent Schwitzen und 1 Prozent Intuition“, soll Thomas Edison auf die Frage geantwortet haben, wie er so kreativ sein konnte. Das sollten alle Kreativen wissen. Nicht allein auf die Idee kommt es an, sondern darauf, dass sie in die Realität kommt. Hierzu dient oft die Versprachlichung. Und die ist harte Arbeit. Zugleich ist sie auch eine sehr befriedigende Arbeit. Denn jeder, der schon einmal einen Gedanken, der sich vielleicht zunächst der Versprachlichung zu widersetzen schien, aufgeschrieben hat, hat auch erlebt, wie befriedigend es sein kann, wenn man es nach langer Arbeit dann doch geschafft hat. Schreiben ist die Auseinandersetzung und Klärung des eigenen Denkens. Das ist Arbeit, wichtige und gute Arbeit.

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer
Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III, Universität Ulm